JEREMIAS

Vor gerade einmal zwei Jahren veröffentlichten JEREMIAS mit „golden hour“ ihr Debüt. Und was für eines: Auf ausverkaufte Tourneen folgten Streams in Millionenhöhe, Konzerte vor tausenden Fans. Mit der rasanten Entwicklung folgte die Erkenntnis: Jedes noch so schöne Rad kann sich zu schnell drehen.

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Lucio Vignolo

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Genau um diese Ambivalenz dreht sich „Von Wind und Anonymität“, das nun erscheinende zweite Album von JEREMIAS: „Der Wind kann zerstören, aber auch ein Segelboot über den Ozean treiben.“ Der Wind – das ist hier eben auch eine Analogie auf JEREMIAS selbst. Die Band ist das Vehikel, das die Mitglieder an die unterschiedlichsten Orte treibt, das Konfrontationen erzeugt, für Veränderung sorgt. Auf „Von Wind und Anonymität“ verarbeitet die Band die letzten zwei Jahre im Leben von Sänger Jeremias Heimbach, Bassist Ben Hoffmann, Drummer Jonas Hermann und Gitarrist Oliver Sparkuhle. Während es von außen betrachtet steil nach oben ging, kämpften die vier Bandmitglieder mit den Schattenseiten der allgegenwärtigen Gegenwärtigkeit. Konzerte spielen wird teilweise zur Belastung, Schreibblockaden mussten durchbrochen werden und die Band sich selbst neu erfinden, um wieder zueinander finden zu können. „Von Wind und Anonymität“ handelt auch davon, selbst wieder hinter die Musik zurückzutreten, ihr den ganzen Raum zu überlassen und in ihr aufgehen zu können.

Mit „Wir haben den Winter überlebt“ haben JEREMIAS in diesem Frühjahr das Kernstück des Albums veröffentlicht. Es bündelt die ganze Fülle an zurückliegenden, schmerzhaften Erfahrungen, die mit dem Leben als Band verbunden sind und vereint die Herausforderungen mit einem positiven und reflektierten Ausblick. Man bekommt bisweilen den Eindruck: Da hat sich eine Band gerade noch einmal ans Ufer gerettet, jetzt kann es weitergehen. Stärker als zuvor, reifer als bisher. „Wir haben immer darüber gesprochen, es schön zu finden, ein langes Album zu machen“, sagen JEREMIAS – ganze fünfzehn Songs haben ihren Weg auf „Von Wind und Anonymität“ gefunden. Es ist ein Aufbruch, der sich in der musikalischen Vielfalt des Albums widerspiegelt und zu dem alle Bandmitglieder beigetragen haben.

„Da für dich“ schreibt Sänger Jeremias für Gitarristen Olli. Als der auf einer schier endlosen Tour durch Österreich merkt, „es geht einfach nicht mehr“, bekommt er eines Nachts eine Sprachnachricht, ihr Inhalt: Text und Akkorde von „Da für dich“. Der vielleicht zerbrechlichste Song des Albums erinnert in seiner beinahe schwerelosen Komposition an Alt-J. Der Bass, den Ben spielt, ist geslapped und am Ende mündet der Song in einem infernalischen, befreienden Gitarrensolo von eben jenem Olli, um den es in dem Song geht. „Wenn man einen Traum hat, dann gibt man sich dem zu 150 Prozent hin – das kann auch gefährlich sein“. Der Traum ist die Band, selbstverständlich. „Da für dich“ zeugt davon, dass Freundschaft essentiell ist, wenn man droht, sich im Strudel der Gegenwart zu verlieren. Und führt für JEREMIAS zur Rückbesinnung aufs Wesentlichste: Die Musik. Der Wind, der sie antreibt.

„Egoist“ wiederum dreht sich um Sänger Jeremias Umzug nach Berlin. Irgendwann hat er genug von Hannover, muss ausbrechen, raus in die weite und eben auch anonyme Welt. Eigentlich ein kleines Stück Musik – eine untighte Nylongitarre führt durch den Song: „Mein Vorbild war immer nur der Wind“, singt Jeremias über die Entscheidung frei zu sein.

Für „Von Wind und Anonymität“ ließ die Band sich Zeit. Anders als beim Vorgänger, der mit einer großen Prise Spontanität an einem Ort entstand, reisten JEREMIAS jetzt durch verschiedene Studios: Das legendäre Studio Nord in Bremen, die ebenso legendären Hansastudios und das Funkhaus in Berlin, in Hannover und in Bayern. Die Songs wurden immer greifbarer. Man hört einer durch unzählige Konzerte eingespielten Band dabei zu, wie sie ihren gefundenen Sound weiterentwickelt, Nuancen verschiebt und neue Wege geht.

Es gibt keine andere Band in Deutschland, die so klingt wie JEREMIAS. JEREMIAS klingt wie JEREMIAS. Der Nachfolger von „golden hour“ strotz vor raffinierten Harmonien und klugem, reflektiertem Songwriting. Das Album erinnert zuweilen an Größen wie John Legend und Sam Smith, zwischen Sanftheit und Schwere stellt man sich die Band zwangsläufig auf den ganz großen Bühnen vor. Je länger man JEREMIAS auf „Von Wind und Anonymität“ zuhört, desto klarer wird: Das hier ist ein wirklich herausragendes deutschsprachiges Popalbum von einer Band, die ihren ganz eigenen Sound gefunden hat und von diesem Punkt aus losgezogen ist, um Experimente zu wagen.

„Von Wind und Anonymität“ handelt von dunklen Zeiten, stellt diesen aber ein Grundvertrauen ins Leben entgegen, gibt sich zuversichtlich und zeugt von einer Band, die wieder gelernt hat, ihrem eigenen Traum zu vertrauen. Und das ist eine sehr gute Nachricht.

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